30 März 2009

Sonnenkind

"Ich komme vom Licht der Sonne", denkt sie. Schwer drückt ihr die heiße Luft auf die geschlossenen Lider. Die Stimme des Fremden hallt nach in ihrem Kopf. Ihr Herz hat aufgehört zu flattern und schlägt wieder regelmäßig schnell. Die Jagd ist vorbei, sie ist in Sicherheit. Die Risse im staubigen Asphalt drücken an ihre Schenkel, die Lehmmauer spendet ihrem Rücken die letzten Reste der kühlenden Nacht. Der Verkehr drängt sich unvermindert auf der Straße, sie hört es, Autos dicht an dicht, ungeduldiges Hupen in der Mittagshitze. Schreiend bietet der Mangoverkäufer seine Früchte feil. Aus der Ladentür neben ihr kommt Tanzmusik.
Der Fremde hatte ihr aufgeholfen. „Hier, das hast du verloren.“ Eine sanfte Stimme. An diese Stimme will sie sich immer erinnern können.
Das Vergessen hatte sie besser gelernt als das Erinnern. All die Hände, die sie jemals geschlagen und all die Stimmen, die sie jemals geschimpft hatten zu vergessen, kostet sie viel zu viel Kraft, als dass sie die wenigen gebenden Hände und zärtlichen Stimmen in Erinnerung behalten könnte. So kommt sie immer davon. Ihre Beine sind lang und sehnig, damit kann sie schnell weglaufen. Ihre Finger sind fein und flink, sie finden immer etwas zu essen. Und sie vergisst schnell.
Durch die Waschfrauen am Fluss ging die Jagd, hinein in die engen Gassen zwischen den Bretterhütten, über wacklige Treppen und durch schmutzige Hinterhöfe. Sie wusste nicht, wer ihre Verfolger waren, es ist immer dasselbe: Sie packt zu, wenn es niemand sieht, und beginnt zu laufen, sobald jemand schreit. Als sie schließlich aus dem Schatten des Armenviertels hinaus auf die Straße stürmte, traf sie die Hitze wie ein Schlag in den Magen. Der Schmerz war wieder da, stach ihr rasend bis in die Brust.
Ihre Wange pochte vom Aufprall, sie war geblendet, ihre flinken Beine lahm. Der Hunger lag ihr wie ein kleiner, eiskalter Klumpen im Bauch. Der Fremde hob sie hoch, setzte sie behutsam neben die Ladentür und legte ihr das Brot in den Schoß. "Hier, das hast du verloren, Sonnenkind."
Reglos sitzt sie mit geschlossenen Augen. Der Gestank der Abgase ist stärker als der Duft des weichen Fladens, den sie gestohlen hatte. Sie wird ihn essen, doch jetzt braucht sie ihre ganze Kraft, um die Stimme des Fremden nicht zu vergessen.
"Ich komme vom Licht der Sonne", sagt sie und schläft.

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27 März 2009

2

Ich sehe einen aufgespannten lila-blauen Schirm, den man ganz klein zusammenfalten kann. Was ist dahinter? Wohl ein Ausflug in den Wurstelprater.
Da war nämlich das Knistern und Rascheln der bunten Plastiktüte mit den Haribo Goldbären, eine PET-Flasche mit Römerquell stillem Mineralwasser wurde geschwenkt und jetzt, ja, jetzt kann ich es sehen, ein schwarzer, schlichter Tagesrucksack, in dem das alles verstaut gewesen war. Das schwarze Sakko liegt in einem unordentlichen Haufen darauf. Sie war nach dem Rummel wohl zu müde gewesen, alles schön wegzuräumen. Unter dem Sakko liegt ein karierter Wollpullover in trüben Herbstfarben. Braun, dunkelgrün, schmutzig-rot, schwarz. Sie hat ihn dann doch gebraucht, denn trotz baldigem Frühlingsbeginn pfiff der Wind noch schneidend kalt um die Ecken der Buden.
Gut verwahrt unter dem Gepäckhaufen liegt das glitzernde Armband mit den Glasperlen. Wie wird sie sich morgen freudig an die vielen glücklichen Treffer an der Schießbude erinnern.

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17 März 2009

Woher ich komme

Ich komme aus dem ewigen Kreis.

Ich komme aus dem feuchten Reich der Erde.

Ich komme vom warmen Licht der Sonne.

Ich komme vom kohlenen Teil der Luft.

Ich komme nach dem zarten Duft der Blüte.

Ich komme aus dem süssen Fleisch der Kirsche.

Ich komme aus dem dunklen Darm des Rehs.

Ich komme aus dem ewigen Kreis.

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